Im Haus der sieben Sünden
Eines Tages kam ein alter Seefahrer zu uns ins Haus der sieben Sünden. Erst saß er immer mittags bei mir an der Bar und erzählte mir, wie schwierig man es heutzutage hatte, dann verbrachte er auch die Abende bei uns, meistens beim Kartenspiel. Er mochte unseren alten Rum, wenn er ihn sich leisten konnte, die meiste Zeit aber blieb er bei den billigen Marken. Er hatte einen geflochtenen Bart und wilde Tätowierungen überall, und schnaubte wie ein großer Wal. Er machte immer einen Trick, bei dem er sich ein Stück Seil durch Nase und Ohren zog, und er konnte ein ganzes Ei verschlucken, ohne zu kauen. Beides machte ihn bei seinen Mitspielern recht beliebt; vor allem aber schätzten sie es, dass er immer verlor. Dann schnaubte er, fuhr sich mit der Hand durch den Bart, als fände sich darin noch etwas Geld, und wenn er alles verloren hatte, kam er zurück an die Bar und klagte mir sein Leid. Die Welt sei einfach kein Ort für alte Seebären mehr. Meistens ließ ich ihn anschreiben, denn er hatte mittlerweile ein Zimmer bei uns, und schaffte es immer irgendwie, doch noch an Geld zu kommen. Ich fragte nicht, woher es stammte — hätte er mir von einem vergrabenen Schatz erzählt, ich hätte das ohne zu zögern geglaubt. Ich fragte aber nie, und für meine Diskretion und meine Geduld war er sehr dankbar.
Er sagte, sein Name sei Lucius Vargo, seine Freunde aber nannten ihn Bartelfisch. Ich sagte, dass mir das nur angemessen erscheine, und dass ich selbst zur See gefahren sei und die Probleme, von denen er mir berichtete, gut verstehen könne, das Leben in Melnor aber immer noch besser sei als Schafe zu züchten. Er erwiderte, da sei er sich nicht so sicher, und er trage sich schon lang mit dem Gedanken, nach Ewenland zu gehen und sich ein paar schöne Schafe zuzulegen.
Ich widersprach ihm nicht, weil das als Barkeeper nicht meine Aufgabe war. Statt dessen sagte ich, ich müsse mir das noch mal durch den Kopf gehen lassen — erst aber müsse ich ein paar Dinge erledigen. Er fragte mich welche, und ich antwortete, zunächst einmal Herzensangelegenheiten, und da nickte ernst. Dann, sagte ich, müsse ich meinen Vater finden. Wieder nickte er, und sagte, auch er sei auf der Suche nach jemand. Er sei nur vorübergehend aufgehalten worden. Ich fragte, wen er denn suche, und er sagte, einen alten Gefährten, mit dem er lange Jahre zur See gefahren sei, ehe sie sich aus den Augen verloren. Er habe noch etwas, das seinem Freund gehöre, und wolle es ihm wiederbringen. Er habe seine Spur bis hierher verfolgt, nur habe sie sich hier verloren, und er wisse nicht mehr ein noch aus deshalb.
Ich goss ihm noch einen Rum ein, den er dankend annahm. Dann fragte er mich, wie das jetzt mit meinem Vater sei.
Ich antwortete, mein Vater sei Tausenddorn, den manche als den „großen“ bezeichnen, oder den „berüchtigten“, oder einfach nur den Tausenddorn, der ein Schwertmeister und ein Pirat und ein fahrender Abenteurer war. Da prustete Bartelfisch so stark, dass der meiste Rum in seinem Bart hängenblieb, haute sein Glas auf die Theke und schaute mich mit großen Augen an.
„Beim Arsch des Geteilten“, rief er aus, „da leck mich doch an meinem alten Hintern! Das ist genau der Kerl, den ich suche! Tausenddorn, mein alter Freund!“
Nun, du kannst dir sicher vorstellen, dass ich überrascht war, und wir an diesem Abend eine Menge zu besprechen hatten. Sobald mich jemand an der Bar vertreten konnte, setzte ich mich mit Bartelfisch an einen Tisch und hielt ihn so lange mit Rum bei Laune, bis er mir seine ganze Geschichte erzählt hatte. Er erzählte mir Folgendes:
Bartelfisch stammte aus einer alten pherenidischen Familie, hatte das Strahlende Reich aber nie betreten. Natürlich war er kein Adliger. Sein Vater hatte in den Diensten des Präfekten von Teveral gearbeitet, das bescheidene Vermögen und Ansehen seiner Familie aber recht schnell versoffen. Da er unter seinen eigenen Leuten nicht allzu viel Freunde hatte, verbrachte der junge Lucius die meiste Zeit unter Einheimischen. So ist wohl zu erklären, dass er auch später, als erwachsener Mann, wenig für die imperialen Begehrlichkeiten übrig hatte, und sich zu Zeiten der teverischen Revolte auf Seite der Aufständischen wiederfand.
Dort begab es sich, dass er gegen Ende der Schlacht um Caranando um sich schaute und feststellte, dass er fast allein auf weiter Flur war — fast, denn er fand sich, wie er es ausdrückte, Rücken an Rücken mit dem wildesten Faun, der ihm je untergekommen war. Alle anderen Kämpfer waren tot oder geflohen, und sie standen allein einer Übermacht von gut einem dutzend pherenidischer Soldaten gegenüber. Der Fealv soll mindestens sechs Fuß groß gewesen sein, braungebrannt, mit Muskeln wie Ankertaue und Kämmen auf Schultern und dem kahlen Kopf, die er zuerst für eine Rüstung gehalten hatte, bis er begriff, dass sein Gefährte mit nacktem Oberkörper kämpfte. Fealva tun das manchmal, damit sie flinker sind als ihre Gegner, und weil sie sich auf ihre dicke Haut verlassen, die besser schützt als die von Menschen. Normal, sagte Bartelfisch, fand er das trotzdem nicht. Tausenddorn — denn niemand anderes war der fremde Krieger — schien sich aber blendend damit zu fühlen. In seinen Händen hielt er ein schwarzes Schwert, einen schweren Anderthalbhänder — dieselbe Waffe, die du nun vor dir siehst — und mit diesem Schwert streckte er die Gegner nieder wie Grashalme.
Bartelfisch, soll heißen Lucius, gab sein Bestes, mit ihm mitzuhalten, und nachdem die letzten Soldaten vor ihnen auf der Erde lagen oder in die Flucht geschlagen waren, steckte Tausenddorn sein Schwert in die Scheide, die er auf dem Rücken trug, und reichte ihm die Hand.
„Das ist ein feines Schwert, dass Ihr da habt“, sagte Lucius.
„Nicht wahr?“, fragte Tausenddorn. „Sein Name ist Banneisen.“
„Ein passender Name. Sein Anblick genügt, und die Gefahr ist gebannt.“
„Mag sein, dass der Name daher rührt“, erwiderte Tausenddorn, doch der Gedanke schien ihm zu missfallen.
„Habe ich etwas Falsches gesagt?“
„Der vorige Besitzer hat mir eine andere Geschichte erzählt. Ich traf ihn in Glaive, in den Diensten einer hohen Dame. Wir tranken abends in einer Taverne und redeten über seine Herrin, die ein paar Tische weiter saß, seine Arbeit für sie und sein Werkzeug bei ebendieser. Ich machte dieselbe lobende Bemerkung wie Ihr gerade, und er sagte, ja, ein Eisen lang und stark wie seins habe bisher stets in seinen Bann geschlagen. Ich fragte ihn: ‚Ach ja?‘, und er nickte Richtung seiner Herrin und antwortete: ‚Das sagt sie zumindest.'“
Lucius sagt, er habe einen Moment verdattert dreingesehen, dann habe er dem Faun auf die Schulter geklopft und gelacht, und von da an seien sie Freunde gewesen.
„Wie kommt es dann, dass dies nun Euer Eisen ist?“, fragte er.
„Er trug es, bis es ihm den Dienst versagte, in einem äußerst kritischen Moment, und ich war zur Stelle, seiner Herrin auszuhelfen“, erklärte mein Vater. „Zum Dank durfte ich es behalten, als ihr Bedarf daran zu schwinden begann.“
„Ihr habt es Euch redlich verdient, will mir scheinen.“
„Das ist wohl wahr, doch ringen wir bis zum heutigen Tag miteinander. Seht Ihr, in der Alten Zeit, da pflegten sich die Krieger nach ihren Waffen zu benennen. Der Tradition nach wäre mein Namen also heute Banneisen, doch hieße dies, meinen alten Namen abzulegen, den ich ebenfalls nicht ohne Grund trage. Zwei mächtige Namen, und nur ein Fealv, sie zu tragen — Ihr versteht mein Dilemma?“
„Man sagt, Entscheidungen liegen Eurem Volk so sehr wie Katzen das Wasser“, lachte Lucius.
„Glaubt nicht alles, was man sich erzählt“, mahnte Tausenddorn und ließ den Blick über das Schlachtfeld schweifen. „Sagt mir lieber, was wir nun tun sollen.“
Lucius und mein Vater berieten sich also eingehend und beschlossen, das Angefangene nicht unvollendet zu lassen. Sie kämpften Seite an Seite in den Schlachten von Tered Nimley und danach Salcair Lanlass, und wenn die Hälfte der Geschichten der Wahrheit entspricht, hatten sie bald den Großteil des Nordens im Alleingang befreit.
Leider stellte sich jedoch heraus, dass der Präfekt von Teveral den Ausgang dieser Schlachten vorhersah, und sich mitsamt des Staatsschatzes nach Süden abgesetzt hatte. Da man das junge Teveral nicht völlig mittellos seiner Zukunft entgegensehen lassen wollte, war es ein Gebot der Ehre, die Verfolgung aufzunehmen.
Nun, du brauchst dir den Norden heute nur anzusehen, um zu wissen, dass dieser Suche kein Erfolg beschieden war …
[…] Bevor ich mich in eine sommerliche Blogpause verabschiede, nach der es dann wahrscheinlich auch ein paar Neuigkeiten zu vermelden gibt, veröffentliche ich diese Woche noch eine weitere Leseprobe. Es handelt sich dabei um eine Szene, die ich bereits letztes Jahr auf dem BuCon gelesen habe. Darin erzählt Janner, die männliche Hauptfigur, April aus seinem Leben, und wie er an das Schwert seines Vaters kam. Man lernt dabei die Welt ein wenig kennen … und erfährt ein kleines bisschen über Faune: Zur Leseprobe […]
Wenn du ernsthaft über „Haus der sieben dunklen Laster“ nachdenkst: Bitte bitte bleib bei Sünden. Es klingt an anderer Stelle mit Laster … doof.
LG
Ich bleibe wahrscheinlich schon bei den Sünden. Trotz Marlene Dietrich und so. Klingt einfach besser.