Gastgespräch mit CHRISTOPH LODE, Teil 1

by Tausenddorn

Christoph Lode, geboren 1977, wuchs in Hochspeyer bei Kaiserslautern (Rheinland-Pfalz) auf. Nach dem Abitur studierte er in Ludwigshafen am Rhein und arbeitete anschließend im Öffentlichen Dienst, zuletzt in einer Psychiatrischen Klinik bei Heidelberg. Bereits mit seinen ersten beiden historischen Romanen, „Der Gesandte des Papstes“ und „Das Vermächtnis der Seherin“, sorgte er ebenso für Furore wie mit der großen Fantasy-Trilogie „Pandæmonia“. Heute widmet er sich ganz dem Schreiben. Er ist verheiratet und lebt in Mannheim.

Oliver: Willkommen auf meinem Blog, schön, dass du meiner Einladung gefolgt bist. Also dann … leg einfach mal los!

Christoph: Das Setting von „Das Licht hinter den Wolken“ geht auf eine alte Fantasy-Rollenspiel-Welt von dir zurück, wie du in diesem Eintrag ja berichtest. Wie unterscheidet sich die Romanwelt von der Rollenspielversion?

O: Das Zweiringeland, wie der Kontinent heißt, ist im Roman weniger überfüllt. Die Rollenspielwelt beherbergte über ein Dutzend verschiedene Völker, viele davon auf Grundlage Tolkiens. Davon sind im Roman nur 4 geblieben — und Fealva, Eolyn und Timei sind alle nicht so schrecklich häufig. Dieses „Downsizing“ war auch deshalb nötig, weil es mir im Rollenspiel zwar nichts ausmacht, Ideen aus anderen Büchern oder Filmen zu übernehmen — aber in meinen Romanen habe ich den Anspruch, möglichst eigenständig aufzutreten. Auch wenn man z.B. den Eolyn ihre elfischen Wurzeln noch deutlich anmerkt.

C: Weltenbau für Romane vs. Weltenbau für Rollenspiele — wo siehst du Unterschiede in der Herangehensweise?

O: Meine Rollenspielwelten gehorchten meistens dem Motto „von allem ein bisschen“, damit jeder Spieler etwas fand, das ihm Spaß macht. Romanwelten sollten aber möglichst eng mit der Geschichte verzahnt sein, quasi maßgeschneidert — im Extremfall kann man vielleicht gar keine andere Geschichte darin erzählen (Mittelerde ist ein gutes Beispiel hierfür). Zwar schafft es Atmosphäre, auf vergangene Zeiten und ferne Länder hinzuweisen; Tolkien tut das im Herrn der Ringe ständig. Aber er wusste auch, was in den Anhang gehört, und was in die Geschichte.

Von daher taucht auf der Karte des „neuen“ Zweiringelands, an der ich gerade arbeite, fast nichts auf, was nicht auch handlungsrelevant ist. Ich möchte mir allerdings die Möglichkeit offenhalten, eines Tages ins Zweiringeland zurückzukehren; deshalb gibt es noch genug Platz auf dieser Karte.

Wie bist Du denn beim Weltenbau für „Pandæmonia“ vorgegangen? Hast du von Anfang an eine Welt für drei Bücher entworfen, oder hast du die Welt von Band 1 nach und nach ausgebaut?

C: Ich hatte schon bei der Arbeit an Band 1 eine ungefähre Vorstellung von der Welt, wobei ich zunächst nur den Stadtstaat Bradost, den wichtigsten Schauplatz, im Detail ausgearbeitet habe. Da die Protagonisten der Trilogie recht bald feststellen, dass es nicht nur eine Realität gibt, sondern mindestens drei, musste ich außerdem das Traumreich sowie das titelgebende Pandæmonium und ihre jeweiligen Gesetzmäßigkeiten definieren. In Band 3, als die Protagonisten erstmals ihre Heimatstadt verlassen, habe ich dann endlich auch den Nachbarländern Bradosts Konturen und eine ordentliche Geographie verpasst. Hier lag der Schwerpunkt natürlich auf dem Dschungel- und Wüstenreich Yaro D’ar.

Genau wie du hatte ich beim Weltenbau den Anspruch, etwas zu schaffen, das man nicht schon tausendmal gelesen hat. Deshalb stand schon früh fest, dass ich vom gängigen tolkienesken Fantasy-Mittelalter weggehen und mich eher am 19. Jahrhundert orientieren würde. Bei Bradost merkt man diesen Ansatz am deutlichsten: Es erinnert stark an das früh-viktorianische London plus Alchemie plus Schattenwesen plus einen Schuss Steampunk für die richtige Würze.

O: Gerade die Elemente haben mir auch besonders gut gefallen — ich finde es immer spannend, Genregrenzen zu strapazieren. Du schreibst ja auch Historienromane. Siehst Du da als Autor Unterschiede zur Fantasy? Bislang habe ich den Eindruck, dass das Erfinden und das Recherchieren einer Welt exakt gleich viel Arbeit bereiten …

C: Der Arbeitsaufwand dürfte tatsächlich in etwa gleich sein, die Vorgehensweise ist aber schon eine andere. In der Fantasy ist man sehr viel freier in der Gestaltung des Romansettings, während die Leser und Leserinnen historischer Romane eine hohe Faktentreue erwarten. Für „Pandæmonia“ habe ich zwar auch recherchiert, aber hier eher mit dem Zweck, Ideen zu sammeln.

Als ich die erste Fassung von „Das Licht hinter den Wolken“ las, hatte ich den Eindruck, dass du ähnlich vorgegangen bist: Manche Kulturen erinnern zumindest vage an irdische Reiche bzw. Gesellschaften der frühen Neuzeit – das Strahlende Reich etwa ähnelt dem Römischen Reich und Byzanz. Hier und da bist du aber auch in eine ganz andere Richtung gegangen; besonders interessant fand ich die Elemente aus Western- und Mafia-Filmen, die du einfließen lässt. Was hat dich dazu bewogen?

O: Das ging wohl auf meine Idee zurück, einmal einen Roadmovie in einer Fantasywelt zu erzählen; irgendwas zwischen True Romance und Wild at Heart. Das Spaghetti-Western-Ambiente war die einfachste Möglichkeit, so einer Geschichte den passenden Rahmen zu geben. Ich wollte das technisch-kulturelle Gleichgewicht der Welt ja auch nicht komplett kippen; dennoch bezweifle ich, dass Authentizitäts-Freaks ihre Freude mit dem Roman haben werden. Es ist eher ein modernes Spiel mit alten Klischees — zumindest sehe ich es gerne so. Die Szene, in der Janner und Krayn sich anschicken, eine Dorfkneipe auseinanderzunehmen, ist für mich gedanklich auch meine „Tarantino-Szene“.

C: Reden wir mal über Romanfiguren. Wie gehst du vor, wenn du einen wichtigen Charakter, einen Protagonisten und Perspektivträger, kreierst?

O: Die Frage fällt mir ehrlich gesagt schwer. Manche Charaktere, wie Justine in den „Magiern“, entstehen aus der Notwendigkeit von Setting und Geschichte, andere, wie Sarik im „Licht …“, sind Charaktere, die mir noch aus Rollenspielzeiten nachgehen. Ich muss gestehen, wenn ich einen Charakter mal „vor mir sehe“ oder „seine Stimme höre“ ist er für mich genauso selbstverständlich „da“ wie der Rest des Settings. Das heißt, ich kann Dir ehrlich nicht sagen, wie ich sie „erschaffe“, weil ich es nicht als „erschaffen“ empfinde. Wie ist das bei dir?

C: Ich versuche, möglichst viele Figuren vor dem Schreiben auszuarbeiten, indem ich die Äußerlichkeiten (Aussehen, bevorzugte Kleidung usw.) festlege und mir Charakterzüge überlege. Bei wichtigen Figuren schreibe ich meistens sogar eine stichpunktartige Vita. Das fällt mir mal leichter, mal schwerer — manche Figuren sind sofort da, während ich andere kleinteilig erarbeiten muss. Beim Schreiben ändert sich dann noch mal viel, weil ich merke, dass die eine oder andere Überlegung nicht so gut passt, wie ich dachte. Wenn ich die erste Fassung des Romans überarbeite, kann es außerdem sein, dass ich mir einzelne Figuren noch einmal genau anschaue und prüfe, wie sie im Gesamtbild wirken. Wenn ich da Unstimmigkeiten feststelle, betone ich bestimmte Charakterzüge und verringere andere oder entferne sie ganz.

Am wichtigsten ist mir dabei, dass eine emotionale Bindung zur Figur entsteht — dass der Leser die Protagonisten sympathisch findet, Anteil an ihrem Schicksal nimmt und ihnen bereitwillig durch ihre Geschichte folgt. Denn wenn das nicht klappt, wird er das Buch weglegen. Sehe ich ja an meinem eigenen Leseverhalten: eine unsympathische, uninteressante Hauptfigur — und ein Roman ist für mich gestorben.

O: Sympathische Figuren sind in der Tat sehr wichtig. Ich denke aber, dass die meisten Leser mit einer „Unschuldsvermutung“ an Figuren herangehen, das heißt, sie versuchen erst mal, sich mit ihnen zu identifizieren, solange die sich nicht als Unsympathen herausstellen. Ich gehe optimistisch davon aus, dass meine Charaktere alle bis zu einem gewissen Grad eher sympathisch sind. Zumindest hatte ich immer große Schwierigkeiten, wirklich „böse“ Charaktere zu zeichnen, ob im Rollenspiel oder anderswo — von daher wäre es ziemlich schlecht, wenn mir beides nicht gelänge …

Am schwierigsten fand ich beim „Licht …“, dass meine Charaktere erstmals fast allesamt Mörder sind. Ich meine, der Roman spielt in einer Fantasywelt — da kämpfen die Leute mit Schwertern und die Gegner fallen um. In Filmen nimmt man das relativ gelassen, aber im geschriebenen Text fand ich das erst gewöhnungsbedürftig, vor allem, weil meine Figuren sonst dazu tendieren, relativ „modern“ zu denken. Auch hier ist der beste Vergleich wohl der zu einem Roadmovie. Komischerweise gewöhnt man sich mit der Zeit daran.

Es gibt natürlich Tricks und Kniffe, Sympathie zu steuern: wieviel Unrecht einem Charakter widerfährt, sein Verhalten gegenüber Nebenfiguren, oder — ganz perfid — Tieren. Und man sucht immer nach Möglichkeiten, Figuren in möglichst intimen Momenten zu zeigen, in denen sie eine neue Seite von sich enthüllen. Aber ich bin immer sehr froh, wenn mir eine Szene gelingt, nach der ich sagen kann: Das ist der Charakter, so und nicht anders.´Schaffst du das denn bewusst zu steuern?

C: Ich versuche es. Manchmal gelingt das instinktiv auf Anhieb, manchmal ist es aber auch ein langwieriger Prozess, bei dem ich viel ausprobieren und umschreiben muss, bis ich das Gefühl habe: Jetzt stimmt es. Dabei greife ich zu ähnlichen Mitteln wie du. Auch wenn sich das jetzt etwas sadistisch anhört: Ich glaube, es ist wichtig, seinen Hauptfiguren möglichst viel Schlimmes anzutun. Denn nur so entsteht dramatischer Konflikt, und nur so kann der Leser mit den Figuren mitleiden. Und natürlich ist Humor immer noch der beste Trick, das Herz des Lesers zu erobern. Wenn man es schafft, die Leute zum Lachen zu bringen, hat man schon gewonnen. Leider ist Humor extrem schwer …

Fortsetzung nächste Woche: Über Ebooks, Piraten und den ganzen Rest.