Plotten: Was bisher geschah

by Tausenddorn

Letzte Woche begann ich mit einem allgemeinem Überblick über verschiedene Möglichkeiten, einen Text zu strukturieren. Heute sollen ein paar konkrete Beispiele folgen. Wer meine Romane noch nicht kennt, sei gewarnt, dass insbesondere die verlinkten Szenenpläne natürlich Spoiler enthalten.

Bei „Fairwater“ entschied ich mich relativ willkürlich für eine Struktur aus sieben Kapiteln mit je drei Unterkapiteln, mit Ausnahme des siebten Kapitels, das die übrigen Kapitel in gewisser Weise erst erklärt und seinerseits sieben Unterkapitel besitzt. Auch im Kleinen ziehen sich einfache Strukturen durch den Text; so beginnt z.B. die „Prinzessin von Schedir“ (das Kapitel, mit dem die Arbeit an „Fairwater“ begann) mit einer neutral geschilderten Szene (einer sozusagen „nichts-wissenden Perspektive“), die sich über eine personale Erzählsituation, gerahmt von zwei Traumpasssagen, zur Ich-Perspektive der letzten Szene vorarbeitet, an deren Ende die Erzählerin zu vergehen scheint und (als Tribut an Todorov) mindestens drei mögliche Lesarten der Geschichte (Selbstmord, Wahn, fantastisches Ereignis) im Raum stehen. Ich habe das alles im Vorfeld so festgelegt, einfach, um mich bei der Arbeit an etwas halten zu können. Das Ergebnis war insgesamt natürlich ein sehr fragmentierter, collagenhafter Roman mit sehr unterschiedlichen Passagen, Stilen und Interpretationsmöglichkeiten.

In den „Magiern von Montparnasse“ habe ich die 7-Kapitel-Struktur aus „Fairwater“ übernommen, die Unterkapitelstruktur in den ersten sechs Kapiteln aber aufgegeben, um mich etwas freier im Buch bewegen zu können. Im Gegensatz zu „Fairwater“ korrespondieren die sieben Tage der Handlung hier auch mit dem größeren Schöpfungsthema des Romans; es ist immer der siebte Tag, Sonntag, der Feiertag, an dem im wahrsten Sinne die Uhren in Paris stillstehen. Natürlich habe ich das ganze Buch über mit vielen Notizen, Grundrissen und Zeitplänen gearbeitet; gegen Ende aber wurde es auch erstmals nötig, einen richtigen Szenenplan zu erstellen.

Dies wurde von den meisten Lesern als eine deutliche Zunahme des Tempos wahrgenommen. Der Höhepunkt liegt bewusst im sechsten, nicht siebten Kapitel, weil ich gerade in diesem eher ruhig erzählten Roman eine lange „Abklingphase“ haben wollte (hätte ich das ganze noch etwas mehr nach vorne gezogen, wäre vielleicht eine ordentliche Freytag-Pyramide draus geworden). Auch hier gliedert sich der siebte Tag wieder in sieben Unterkapitel, in denen reihum jeder der sieben Ich-Erzähler seinen Abschluss bekommt.

Beim „Kristallpalast“ schließlich begannen wir mit einem groben Schema des Romans, das dann in einen an Syd Field angelegten Fahrplan mit zwei Plot Points und allen wichtigen Wendungen der Geschichte überführt wurde. Im Laufe der Zeit (damit meine ich viele Tage oder Wochen Arbeit und Besprechungen zwischen jedem der Schritte) wurde daraus der endgültige Szenenplan, der einer fein ausbalancierten Symmetrie gehorcht: An diesmal drei Tagen Handlung geben sich reihum drei Ich-Erzähler die Klinke in die Hand, unterbrochen von drei Rückblenden in Tagebuchform. Gerahmt wird diese Struktur von einer weiteren solchen „Triade“ zu Beginn (die de fakto eigentlich einen vierten Tag darstellt, und meines Erachtens ein kleines bisschen zu lang geraten ist), und einer zum Schluss, in umgekehrter Reihenfolge. Insgesamt kommt jeder Erzähler sechs Mal zu Wort, plus eine große gemeinsame Szene zum Finale.

Diese Symmetrie und vor allem den drehbuchähnlichen Aufbau verdanke ich nicht zuletzt meinen Co-Autoren. Ich halte es für den stringentesten und effektvollsten Aufbau, mit dem ich bis jetzt gearbeitet habe, und es war das erste Mal, dass Aufbau und Inhalt des Romans weitgehend definiert waren, bevor ich wirklich mit Schreiben begann. Der unschätzbare Vorteil dieser Vorgehensweise war für uns, dass wir uns unabhängig voneinander um unsere Szenen kümmern konnten, ohne dabei die Richtung der Geschichte aus den Augen zu verlieren. Für den Leser entsteht im fertigen Buch der Effekt, dass die Charaktere, selbst wenn sie aneinander vorbeizuagieren scheinen, doch immer wieder die Wege der anderen kreuzen – und zwar im namensgebenden Palast, in dem sich alle Höhepunkte der Handlung vollziehen. Jede der drei Perspektiven ist gleichberechtigt und auf ihre Weise limitiert, und die „Auflösung“ erschließt sich allein dem Leser.

Natürlich muss man sich bei dieser Arbeitsweise sehr frühzeitig auf eine von vielen Alternativen festlegen, und hat und im Falle von Problemen, die bei der Detailarbeit (sprich, dem eigentlichen Schreiben) auftreten, nur noch einen begrenzten Spielraum zur Improvisation übrig. Deshalb hätte ich das bei meinen ersten Gehversuchen als Autor auch weder gekonnt noch gewollt. Heute empfinde ich ein gesundes Maß an Planung als große Hilfe, und eigentlich sogar Voraussetzung für ein solides Buch.

Nächste Woche: Zurück zum Licht …